Im Kosmos – „Körper machen Leute – auch im Spiel“ (Ally Auner)

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Dieselben Lippen, aber doch recht große Unterschiede in Sachen Technologie, Körper und Lebensumstände: Ich und meine „FemShep“

Unsere Körper definieren uns. Wie wir wahrgenommen werden, wie wir agieren können, welche Möglichkeiten wir im Leben haben – ob es uns passt, oder nicht. Dabei wird der eigene Körper immer weniger als „naturgegeben“ oder „unantastbar“ hingenommen – es wird trainiert, entschlackt, getoned oder tättowiert, gepierct und modifiziert. Mit den Fortschritten in der Computergrafik durften wir auch unsere virtuellen Körper immer individueller gestalten – von gewagten Frisuren, Piercings, Gesichtstattoos bis hin zu kybernetischen Gliedmaßen oder ähnlichen Dingen, die in der Realität nicht nur gegebenfalls verpönt, sondern einfach technisch nicht möglich sind. Außer in Online-Multiplayer-Spielen gibt es aber selten Empfänger für die Botschaften, die wir damit senden. Allenfalls gibt’s Protest, wenn man im Rollenspiel nackt rumrennt, oder jemand bewundert die kostbare Rüstung, die man trägt. Aber sonst ist das Ganze eher für uns selbst.

Insbesonders in Rollenspielen gibt es zwei gegensätzliche Varianten, wie man seinen Spielcharakter gestaltet interpretiert. Das wohl näher am Begriff „Rollenspiel“ liegende ist es, die Rolle einer völlig fremden Figur einzunehmen, einer anderen Rasse, anderen Geschlechts, Status, Moral, etc. Die andere ist es, den eigenen Avatar möglichst so aussehen und agieren zu lassen, wie man selbst, nur dass man eben nicht MagierIn, SöldnerIn, persischer Prinz oder akrobatische Archäologin ist.
Ich tendiere dazu, Charaktere zu erstellen, die eine idealisierte Version meiner selbst sind: eine athletische, beliebte Heldin, die alle Hindernisse meistert und stärker daraus hervorgeht. Eine, die ohne körperliche Einschränkungen kämpft, Raumschiffe fliegt und nicht diskrimiert wird – oder sich so effektiv dagegen wehrt, dass damit bald Schluss ist. Ich habe von Geburt an eine Sehbehinderung, die es mir unmöglich macht, einen Führerschein zu machen oder auch nur im Straßenverkehr mit dem Rad zu fahren. Der damit einhergehende Pigmentmangel verhindert auch jegliche Art von Bräunung, ich bin also extrem blass und lichtempfindlich. Auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass diese Einschränkungen mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin und den ich auch prinzipiell gut finde, ist ein bisschen Eskapismus in Sachen körperliche Performance schon eine verlockende Sache.
Das Paradebeispiel ist meine Commander Shepard aus Mass Effect – frech und aufgeschlossen wie ich, aber im Gegensatz zu mir körperlich in Topform und sich mutig allem entgegenstellend, was da so kommt. So wäre ich gerne, auch wenn ich bestimmt nicht zum Militär gehen würde. Lieber zur NASA. ;-)

Eine der Kleinigkeiten, die mir an meiner FemShep zum Beispiel wahnsinnig sympathisch waren, ist, dass sie in manchen Szenen im Spiel, abhängig von der Umgebungsbeleuchtung usw., einfach leichenblass ist und dementsprechend kränklich aussieht. Das kenne ich von mir nur zu gut – man wollte mich schon mal nicht aus dem Krankenhaus rauslassen, weil die Schwester dachte, ich hätte ein Kreislaufproblem.
Die Games-Journalistin Gita Jackson hat in einem großartigen Artikel darüber geschrieben, wie stark sie die Wahl einer Qunari in Dragon Age: Inquisition an ihr eigenes Leben erinnert hat. Qunari, eine dunkelhäutige Rasse mit Hörnern am Kopf sind in dieser Rollenspielwelt starke, spirituelle Krieger (die Frauen eher nicht), die von den Menschen, Elfen und Zwergen gefürchtet und/oder gehasst werden. Gita beschreibt, dass ihr vieles, was ihrer Spielheldin an Beleidigungen, Misstrauen und Angst entgegengebracht wird, auch im echten Leben passiert, einfach weil sie schwarz ist.

In Mass Effect gibt es einen Piloten mit der Glasknochenkrankheit. Im Laufe des Spiels erfährt man nebenbei, wie Joker es geschafft hat, trotz dieser Einschränkung Karriere im Militär zu machen: doppelt so hart zu arbeiten. Einerseits weil man sich als „vollwertig“ beweisen muss, andererseits auch damit niemand auf die Idee kommt, man würde aus Mitleid bevorteilt. Diese Situation kennen wohl viele Menschen mit Behinderungen und Mitglieder diskriminierter Minderheiten.
Wenn diese Inhalte richtig verpackt werden, könnten Spiele dazu beitragen, dass sich Menschen in die Körper von anderen hineinversetzen können. Vielleicht könnte man Situationen erlebbar und verständlich machen, die für viele zum Alltag gehören, aber von anderen gar nicht wahrgenommen werden, weil sie nicht zu dieser Gruppe gehören. Dazu könnte neben Rassismus oder Behinderung auch sexuelle Belästigungen gehören. Das können einerseits natürlich spezifisch dafür gemachte „Serious Games“ sein, meiner Meinung nach haben solche Dinge auch in „normalen“ Spielen Platz, wenn sie gut gemacht sind und einem nicht oberlehrerhaft aufs Auge gedrückt werden. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Stelle in Mass Effect 2, wo man für kurze Zeit Kontrolle über Joker übernimmt. So schlecht das dort auch umgesetzt wurde, weil man dort sonst nicht den Avatar wechselt, so veranschaulicht es das doch Problem, sich mit einer schweren Körperbehinderung im Notfall schnell zu bewegen: Es ist extrem frustrierend.
Das Bewegen durch Menschenmassen an sich hat für mich noch kein Spiel so gut veranschaulicht wie Assassin’s Creed, wo man durch das haptische Feedback des Controllers wirklich das Gefühl für den Widerstand bekommt – und wenn man jemand anrempelt gibt’s auch heftiges Gemecker darüber. Ich bin gespannt, was sich hierzu in Sachen Virtual Reality entwickelt – denn das Potenzial, damit Körper im Raum und Arten der Bewegung nachzuempfinden, ist wirklich groß.

Ally Auner behandelt auf ihrer Website glamgeekgirl.net das Thema Gender in Computerspielen und kritisiert die immer noch oft einseitige Darstellung von weiblichen Videospielcharakteren. Sie war bereits bei PLAY14 zu Gast, wo sie beim Talk und einem Kurzinput auf die Geschlechterdarstellung und damit einhergehende Gender-Debatten aufmerksam machte. Selbstverständlich ist sie auch auf Facebook und Twitter vertreten.

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